Die Abeggs werden zum Quartett

FonoForum Oktober 1999

Das Abegg Trio hat mit dem Rückkauf der Rechte an seinen Aufnahmen und dem Wechsel zu Andreas Spreer und seinem Label Tacet einigen Staub aufgewirbelt. Jörg Hillebrand fuhr nach Weimar, um Genaueres zu erfahren, und traf dort auf drei hochsympathische, vor Kommunikationslust überquellende Gesprächspartner, die ihm das Heft geradezu aus der Hand nahmen. Im folgenden sucht er seine Tonbandaufzeichnungen zu ordnen.

Die Abeggs werden zum Quartett

Jörg Hillebrand: Sie gründeten das Abegg Trio 1976, kurz vor Ihren Konzertexamina an der Musikhochschule Hannover. Nach dem Studium gingen Sie unterschiedliche berufliche Verpflichtungen ein, die Sie räumlich zunächst einmal auseinanderführten. Wie schafften Sie es, Ihre kammermusikalische Arbeit dennoch so kontinuierlich und stringent fortzusetzen?

Ulrich Beetz: Für uns stand das Trio immer an erster Stelle. Wir nahmen es von Anfang an sehr ernst mit der Überzeugung: Wir drei sind jetzt eine Gruppe, die über viele Jahre gute Musik zusammen machen will. So war die Bereitschaft da, Mühen auf sich zu nehmen, zum Beispiel nachts zu fahren, um zu proben oder ein Konzert zu geben. Allerdings ist es schwierig, nur von der Kammermusik zu leben. Deshalb sind wir dankbar für unsere Positionen an Musikhochschulen, die uns ausfüllen und den Lebensunterhalt sichern. So können wir unsere künstlerische Freiheit bewahren. Janos Starker sagte mir einmal, für diese Unabhängigkeit müsse jeder Musiker sorgen, um nicht erpreßbar zu sein.

Jörg Hillebrand: 1977 wurden Sie bei den Wettbewerben in Colmar und Genf mit Preisen ausgezeichnet, 1979 gewannen Sie in Bonn den Deutschen Musikwettbewerb, und 1981 erhielten Sie die Goldmedaille beim Festival des jeunes solistes in Bordeaux. Welche Rolle spielten Wettbewerbe für Ihre Karriere?

Gerrit Zitterbart: Wir waren erst das zweite deutsche Ensemble, das jemals bei dem renommierten Genfer Wettbewerb einen Preis gewann. Daraufhin erwarteten wir eigentlich ein größeres Echo von Veranstaltern und Agenten, als es dann der Fall war. Der letztendlich helfende Wettbewerb war der Deutsche Musikwettbewerb in Bonn. Durch ihn bekamen wir Konzerte und Auslandskontakte. Das Goethe-Institut nahm uns in seine Vorschlagsliste auf, und von diesen vielen Reisen, zum Beispiel nach Südostasien, Afrika oder Südamerika können wir nur schwärmen. Die Fördermaßnahmen sind mittlerweile wesentlich erweitert worden. Heute bekommt man als Preisträger eine CD-Produktion und viele Konzertverpflichtungen. Das gab es damals noch nicht in diesem Umfang. Damals wie heute bleibt allerdings die Tatsache, daß es jedes Jahr neue Wettbewerbsgewinner gibt, so daß das Einmalige daran sehr relativ ist und man damit allein im Konzertleben nicht weiterkommt.

Birgit Erichson: Die Schallplatten haben uns mehr geholfen, bekannt und zu Konzerten engagiert zu werden.

Jörg Hillebrand: Ihre Tonträgerkarriere begann 1982 mit drei Langspielplatten für Harmonia Mundi. Wie ging es weiter?

Gerrit Zitterbart: Wir erhielten ein Angebot von Intercord, wo wir 1984 mit Schumann anfingen. Ein glücklicher Zufall ließ gerade zu diesem Zeitpunkt die CD ihren Siegeszug antreten, Intercord setzte damals darauf, Neuproduktionen sofort als CD herauszubringen. So wurde aus der geplanten LP eine der ersten CDs. Diese CD wurde sehr gut verkauft, was wiederum für Intercord ein Anstoß war, mit dem jungen Trio weiterzuarbeiten. Das geschah dann auch die nächsten zehn Jahre lang, bis die Firma an EMI verkauft wurde.

Jörg Hillebrand: Sie haben sich häufig Randerscheinungen des Repertoires gewidmet, Fragmenten von Mozart, Bearbeitungen eigener Kompositionen von Schumann, der frühen Fassung des H-Dur Trios von Brahms, der Klaviertrio-Version des ersten Streichquartetts von Janácek oder Werken von Franz Berwald, Louise Farrenc, Hermann Goetz und Friedrich Kiel. Wer von Ihnen ist denn der Forscher?

Birgit Erichson: Jeder hat einmal eine Idee. Wir halten einfach alle drei Augen und Ohren offen und gehen Dingen nach, die uns interessant erscheinen. Manchmal wurden wir aber auch von außen auf unbekannte, oft nur als Manuskript vorliegende Kompositionen hingewiesen.

Gerrit Zitterbart: Inzwischen kennen wir einige Musikwissenschaftler und Privatgelehrte wie zum Beispiel Volkmar Braunbehrens, der uns die Urfassung des Quartettes von Janácek vermittelte, oder Joachim Draheim, der uns die nicht mehr verlegten Schumann-Bearbeitungen zur Verfügung stellte.

Birgit Erichson: Bei der Vorbereitung zur Einspielung unserer letzten CD mit dem Es-Dur-Trio von Schubert haben wir uns, angeregt durch Anselm Gerhard, mit den Autographen beschäftigt. Er hat uns nahegebracht, daß man unbedingt die lange Version des Schlußsatzes spielen muß, weil sie formallogischer ist als die, allerdings von Schubert selbst, gekürzte Fassung. Deshalb haben wir uns entschieden, auf dieser CD erstmals beide Versionen nebeneinanderzustellen. Und für die demnächst erscheinende Aufnahme der Trios in f-Moll und g-Moll von Dvorák haben wir über Klaus Döge Autographe und Erstdrucke erhalten. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie viel in späteren Drucken verändert wird. Selbst bei sogenannten Urtextausgaben muß man skeptisch sein.

Gerrit Zitterbart: Die intensive Diskussion innerhalb des Ensembles nehmen wir sehr ernst. Wir setzen uns mit den Werken in Hinblick darauf auseinander, etwas möglichst Authentisches herauszubringen, was auch schon einmal bedeuten kann, mit althergebrachten, eingefahrenen Hörgewohnheiten zu brechen, zum Beispiel bei der Phrasierung, beim Tempo, selbst beim Notentext. Das sind dann unsere Aha-Erlebnisse, die das Zusammenspiel auch noch nach so vielen Jahren spannend machen

Ulrich Beetz: Die Erkenntnis, daß Musikwissenschaftler keine trockenen Typen sein müssen, die sich stundenlang über Punkt oder Keil unterhalten und abseits jeglicher Praxis stehen, und andererseits die Einsicht, daß Musiker eventuell auch denken können, führen dazu, daß Berührungsängste abgebaut werden und man sich gegenseitig befruchten kann. So erfuhren wir in der gemeinsamen Arbeit mit Anselm Gerhard bei einem Meisterkurs in Bern tiefe Einblicke in die kompositorischen Zusammenhänge zwischen Schuberts Bewunderung für Beethoven und seinem großartigen Es-Dur-Trio. Das war so ein belebendes Moment, das uns den Zugang zu einem Werk völlig neu und aufregend erscheinen ließ.

Birgit Erichson: Über die Texttreue hinaus waren wir uns alle drei von Anfang an einig, in der Musik keine unnötigen Verzögerungen und Temporückungen zuzulassen. Unsere Tempi haben einen Swing, der aus der Sache selbst entsteht. Er wird nicht bei Modulationen oder Veränderungen der musikalischen Situation durch irgendwelche Manierismen gestoppt. Wir versuchen eher, ein gleichmäßig fließendes Tempo durchzuhalten, deshalb können Sie quasi immer leise mitswingen, wenn Sie unsere Musik hören.

Ulrich Beetz: Unsere Aufnahmen sind erkennbar. Die Einhaltung des Tempos bei Verzicht auf bestimmte Konventionen ist unser Verständnis von Musik, vielleicht sogar eine Art Bekenntnis.

Jörg Hillebrand: Hat das etwas damit zu tun, daß Sie sich der historischen Aufführungspraxis gewidmet und unter anderem im Collegium Aureum mitgespielt haben?

Ulrich Beetz: Gerade was die Klassik betrifft, stimmt das genau.

Gerrit Zitterbart: Wir vollführen insofern einen Spagat, als die Streicher sich am Originalklang orientieren, ich aber auf dem modernen Flügel spiele. Wir haben einige Konzerte mit einem Graf-Hammerflügel gespielt. Das war eine faszinierende Erfahrung, weil bestimmte Dinge plausibler werden, zum Beispiel daß der Hammerflügel überhaupt nicht leiser klingt als ein heutiges Instrument, sondern einfach anders, perkussiver.

Ulrich Beetz: Aber verstimmt, unerträglich verstimmt, schon nach sehr kurzer Zeit.

Gerrit Zitterbart: Das sind eben die praktischen Schwierigkeiten im Konzertleben. Eine Reaktion darauf ist, daß wir alle CDs bis auf zwei mit einem Bösendorfer aufgenommen haben, weil er einen viel mehr streichergemäßen Klang hat als ein Steinway, der sehr viel gerader klingt. Eine Erfahrung war in dieser Hinsicht die Einspielung des modernen Programms mit Rihm, Killmayer, Henze, Acker und Erdman: In der Kirche, in der wir seit 15 Jahren aufnehmen, steht auch ein sehr guter Steinway. Wir haben es mit ihm probiert. Beim Abhören gefiel uns der Klang gar nicht, weil er mit den Streichinstrumenten nicht zu einem gemeinsamen Klangbild verschmolz. Im Konzert verwenden wir natürlich meistens einen Steinway, weil er nun einmal fast überall in den Sälen steht, aber für die CDs haben wir eine bestimmte Klangvorstellung, die wir erreichen möchten.

Ulrich Beetz: Wir hatten großes Glück, daß uns außer bei den Produktionen für Harmonia Mundi und Ex Libris immer derselbe Tonmeister zur Seite stand und wir fast alle CDs in der Frankfurter Festeburgkirche aufnehmen konnten, in der gleichen hellen, tragenden, vertrauten Akustik.

Gerrit Zitterbart: Mit Andreas Spreer, unserem Tonmeister und Produzenten, entwickelte sich in diesen 15 Jahren eine absolute Vertrauensbasis. Wenn Andreas bei einer Aufnahme sagt: »Das habe ich«, können wir dessen sicher sein. Er weiß uns einzuschätzen, weiß, wo er bohren muß, noch etwas herauslocken kann. Für uns stellt eine CD ein Gemeinschaftswerk dar, einen Marmorblock, den vier Bildhauer bearbeiten.

 

Birgit Erichson: Uns ist es wichtig, daß alles, von der Verpackung mit dem Cover von Horst Janssen über den Text von Jan Reichow bis zur Musik und Aufnahmetechnik, auf einer Linie liegt. In der etwas vielfältig-beliebigen CD-Landschaft wird es immer dringender, ein gewisses Identifikationsmerkmal zu bieten. Es war ein Glück, daß Andreas Spreer unsere Produktionen weiter als freier Mitarbeiter betreuen durfte, nachdem er Intercord 1988 verlassen hatte. Vielleicht hat er auch seine Philosophie, die er mit seinem eigenen Label begründete, ein bißchen in der Arbeit mit uns entwickelt. Dieser Purismus mit wenigen Mikrofonen kommt uns natürlich entgegen, die wir ein Werk möglichst unverfälscht zu Gehör bringen wollen.

Jörg Hillebrand: Sie haben sämtliche Rechte an Ihren Aufnahmen von EMI zurückgekauft, nachdem Sie zusehen mußten, wie Ihre CDs aus den Katalogen verschwanden. War das Ihre eigene Idee oder spielte Andreas Spreer da schon mit herein?

Ulrich Beetz: Den mußten wir richtig überzeugen. Wir waren in heller Aufregung, als wir plötzlich zweite Wahl wurden, und Gerrit hat die Hartnäckigkeit seines Lebens bewiesen, als er alles kaufte und dann auch komplett wieder verkaufte. Nach seinem anfänglichen Zögern ist Andreas Spreer jetzt sehr überzeugt von der ganzen Sache, und wir sind alle vier sehr glücklich mit dieser Entscheidung.

Jörg Hillebrand: Wie kam der Kontakt mit Horst Janssen zustande, von dem die Titelbilder für alle Ihrer CDs stammen?

Birgit Erichson: Ich war fasziniert von seiner Kunst, und als uns das Projekt der Aufnahme aller Beethoven-Trios offeriert wurde, war für mich klar, daß nur ein Beethoven-Portrait von Janssen als Cover in Frage käme. Also schrieb ich ihm einen langen Brief, in dem ich uns vorstellte und meine Bitte vortrug. Im Grunde war das eine totale Frechheit.

Ulrich Beetz: Viele Unterhändler von Verlagen, die mit Aktenkoffern voller Geld zu ihm kamen, um eine Zeichnung zu erbetteln, hatte er schon hinausgeworfen, so daß wir wenig Hoffnung hatten.

Birgit Erichson: Aber es kam anders. Ich erhielt einen Anruf von Janssen: »Sie haben mich angeschrieben, acht Seiten lang, und wollen ein Bild von Beethoven haben. Lieben Sie mich?« Überrumpelt entgegnete ich: »Entschuldigen Sie, ich kenne Sie doch gar nicht, aber ich liebe Ihre Bilder.« Daraufhin antwortete er »Gut, der Beethoven ist geritzt.« Unsere Freude darüber war unvorstellbar, denn für uns war durch diese Zusage die CD zu einem Gesamtkunstwerk geworden.

Ulrich Beetz: Das Beethoven-Portrait hat er ihr geschenkt, und als wir zwei Jahre später Schumann aufgenommen haben, fragte er: »was braucht ihr?«

Birgit Erichson: Das kam so: Ich stand mit Janssen in Korrespondenz. Er war sehr schwierig, aber auch sehr lieb und empfindsam. Irgendwann muß ich einmal etwas gesagt haben, was ihm mißfiel, und danach herrschte totale Stille. Ich war sehr traurig darüber und schickte ihm von unserer Südostasien-Tour einen Zeitungsarikel aus Kuala Lumpur, in dem seine Beethoven-Zeichnung abgedruckt war. Da er so berühmt sein wollte wie Dürer - er sagte einmal: »Die letzte Bauersfrau in Bayern auf der Alm soll meinen Namen kennen« -, beeindruckte ihn dies so sehr, daß er mich spontan anrief und sagte: »Das ist ganz toll. Was brauchst Du jetzt?«

Gerrit Zitterbart: 1992 zeichnete er für uns einen Haydn, den er aber vernichtete. Nach Janssens Tod erschien ein Bildband, der nun eben diesen Haydn enthielt, da er zuvor fotografiert worden war. So konnten wir ihn posthum auf unserer CD abbilden, für die er eigentlich gedacht gewesen war.

Jörg Hillebrand: Ihre letzte Veröffentlichung war die zweite Folge der Schubert-Gesamteinspielung. Warum haben Sie sich mit Schubert vergleichsweise viel Zeit gelassen?

Gerrit Zitterbart: Joachim Kaiser hat einmal geschrieben (Süddeutsche Zeitung, 25.9.1993), daß wir uns an Schuberts Trios erst ganz zuletzt wagten, um ihnen wirklich gewachsen zu sein. Tatsache ist, daß wir einen riesengroßen Respekt vor diesen Werken hatten und solchen Respekt komischerweise bei Mozart und Beethoven früher überwunden haben.

Ulrich Beetz: Natürlich sind die Schubert-Trios ein Muß. Man spricht immer von den Perlen der Literatur, zum Beispiel von den letzten Streichquartetten von Beethoven, und sagt, daß man schon die richtige Reife besitzen müsse, um sie interpretieren zu können. Hoffentlich hat man dann auch noch die Technik! Ein junges Ensemble bringt andere Aspekte ein, und wenn ich etwas mit sechzig aufnehme, fehlt auf alle Fälle ein jugendlicher Aspekt in meiner Interpretation, ebenso wie, wenn ich es mit zwanzig spiele, Erfahrungswerte fehlen. Man kann nicht sagen, daß das eine besser und das andere schlechter sei. Vielleicht haben wir in der Weise Glück, daß wir mittendrin liegen: Wir sind noch weit entfernt von sechzig, aber auch nicht mehr zwanzig.

Gerrit Zitterbart: Als Gulda die Beethoven-Sonaten zum zweiten Mal aufnahm, hat er gesagt: »Der Kopf ist schon wach, und die Finger sind noch nicht tot.«

Ulrich Beetz: In diesem Sinne war es an der Zeit, uns an das große Es-Dur-Trio von Schubert heranzuwagen, besonders nach den neuen und aufregenden Erkenntnissen, die wir bezüglich dieses Meisterwerkes gewonnen haben.

Gerrit Zitterbart: Schubert ist schon ein Höhepunkt für uns, aber kein Endpunkt, denn sonst müßten wir ja jetzt aufhören.