Langzeitehe zu dritt
FonoForum September 2006 / Christoph Vratz
Das Abegg Trio feiert sein dreißigjähriges Jubiläum und darf sich zu den dienstältesten Klaviertrios zählen. Dass es dennoch jung geblieben ist, zeigt eine Neuaufnahme mit Werken von Johannes Brahms.
Es war 1976, Musikhochschule Hannover. Das Konzertexamen stand vor der Tür, als sich die Cellistin Birgit Erichson, der Pianist Gerrit Zitterbart und der Geiger UIrich Beetz für einen steinigen Weg entschieden. Sie wollten eine Laufbahn als Trio einschlagen. Schon manche Formation hat dieser Entschluss geradewegs ins Nichts getrieben. Nicht so beim Abegg-Trio. Dreißig Jahre lang ist man in identischer Besetzung zusammengeblieben, hat Höhen und Tiefen durchlebt und ein eigenes Kapitel Musikgeschichte geschrieben.
Zufall oder nicht: Der Aufstieg des Ensembles fiel mit der Entwicklung eines neuen Mediums zusammen, das den Weg nach oben beschleunigen und zugleich zementieren sollte: die CD. Nachdem das Trio Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre bei verschiedenen Wettbewerben Preise eingespielt hatte - unter anderem in Colmar, Genf, Bordeaux und beim Deutschen Musikwettbewerb in Bonn -, folgten ab 1982 die erste Aufnahmen für Harmonia Mundi in Form von Langspielplatten. Als man jedoch 1984 von Intercord das Angebot erhielt, die Klaviertrios von Schumann einzuspielen, wechselte das Abegg Trio nicht nur die Firma, sondern auch das Medium. Denn Intercord hatte firmenintern beschlossen, alle Neuerscheinungen bereits als CD auf den Markt zu bringen. Für die drei Musiker war es, im Nachhinein gesehen, ein Glücksfall. 1985 lag eine Gesamteinspielung der Trios von Mozart vor, drei Jahre später ein Beethoven-Zyklus. Es folgten Aufnahmen mit Werken von Haydn, Brahms, Mendelssohn, Ravel, Debussy, Dvorák. Gleichzeitig betrat das Abegg Trio weniger ausgetretene Pfade. Man fand den Mut, sich in das Terrain eines Hermann Goetz oder eines Friedrich Kiel zu begeben. Man spielte Franz Berwald und Louise Farrenc. Und man kümmerte sich um die Frauen im Schatten berühmter Männer, um Clara Schumann und Fanny Mendelssohn.
Doch auch das Abegg Trio wurde nicht vom Kalküldenken der Plattenfirmen verschont. Mitte der 1990er Jahre verschwanden seine Einspielungen peu à peu aus den Regalen der Plattenläden. Intercord war von EMI übernommen worden, dort argumentierte man mit marktüblichen Floskeln wie „Umstrukturierung“. Das Bekenntnis für eine intensive Zusammenarbeit klingt natürlich anders. Was folgte, war wiederum ein Glücksfall. Der ehemalige Tonmeister von Intercord hieß Andreas Spreer. Er hatte die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt und mit Tacet sein eigenes Label gegründet. Bei ihm fand das Ensemble seine neue Heimat. Das Trio wuchs mit seinem Produzenten zu einem Quartett zusammen. „Er weiß uns einzuschätzen, weiß, wo er bohren muss, noch etwas herausholen kann“, gestand Gerrit Zitterbart 1999 dem FONO FORUM.
Das Abegg Trio ist sich in den drei Jahrzehnten seines Bestehens treu geblieben, allen Moden zum Trotz. Man spielte historisch informiert, aber nie manieriert, und man setzte auf neueste Erkenntnisse der Wissenschaft. Bei Schuberts Es Dur Trio etwa hat man den Schlusssatz sowohl in der langen, von Schubert gestrichenen Version als auch in der Fassung letzter Hand aufgenommen. Gleiches gilt für die beiden Varianten des H-Dur-Trios von Brahms. Fragmenten von Mozart hat man sich mit ebenso viel Ernst zugewandt wie der Wiederherstellung des Klaviertrios von Leos Janácek aus dem Jahre 1908. Der Begriff vom Autograph war für die Abegg Musiker kein Fremdwort, sondern Teil des Betriebsgeheimnisses.
Um die andere Seite der Erfolgsmedaille zu erklären, genügt ein Blick in die Tages- und Fachpresse der vergangenen Jahre. Da wird einerseits der Sinn „für klangliche Differenzierungen“ hervorgehoben und die Fähigkeit, „in der Behandlung der Nebenstimmen“ keine Unterschiede vorzunehmen (NZZ); auf der anderen Seite steht die Gabe, Interpretationen „Gewicht, Aggressivität, Präzision und größte innere Wahrhaftigkeit“ zu verleihen (SZ). In seinem Spiel vereint das Abegg Trio „Brillanz, graziöse Eleganz und leidenschaftliche Dramatik“ (FAZ), es herrscht eine Kongruenz der Gegensätze zwischen „atmender Ruhe und gestauter Erregung“ (NMZ). Ein Blick auf die Internet Seite des Ensembles verrät, dass dort Konzert- und CD-Kritiken in ganzer Länge abgedruckt sind und nicht bloß in Häppchenform - ein verlässliches Indiz dafür, dass die Anerkennung auf einem breiten, tragfähigen Fundament steht.
15 Jahre ist es her, seit sich das Abegg-Trio auf Tonträger letztmalig mit Johannes Brahms beschäftigt hat. Nun ist, quasi als später Nachtrag, eine Aufnahme mit dem Horntrio op. 40 und dem G-Dur-Sextett op. 36 in der Trio-Bearbeitung von Theodor Kirchner erschienen. Alle Musiker spielen auf historischen Instrumenten, Stephan Katte auf einem ventillosen Naturhorn, dem Nachbau eines Instruments von ca. 1800, Beetz auf einer Lupot-Violine von 1821 und Erichson auf einem Castagnieri-Cello von ca. 1847, beide mit Darmsaiten. Zitterbart hat einen Johann Baptist Streicher Flügel von 1864 zur Verfügung - eine authentische Wahl, denn Brahms selbst hatte 1868 von Streicher einen Flügel für seine Wiener Wohnung geschenkt bekommen. Die ersten drei Sätze des Horntrios klingen vergleichsweise vorsichtig, zurückhaltend, vornehm. Vor allem das Scherzo lässt etwas von jenem energisch-kompromisslosen Zugriff vermissen, der die früheren Brahms-Aufnahmen ausgezeichnet hat. Gleichzeitig dominiert das vitale, perfekte Zusammenspiel. Das Finale gerät schließlich zum fulminanten Höhepunkt. Auch das Sextett klingt zutiefst romantisch: geheimnisvoll, lyrisch, stellenweise wild, nie rührend, nie belehrend. Eine gelungene Gabe zum 30. Geburtstag.
Christoph Vratz