Erlesener Wein in neuen Schläuchen
Fono Forum / Christian Strehk
»Manchmal
gibt es Gelegenheiten, die man einfach wahrnehmen muß« - Gerrit
Zitterbart, Pianist des Abegg Trios, weiß, wovon er spricht. Zur Zeit
erscheint nämlich das gesamte CD-Programm des renommierten
Kammermusik-Ensembles bei dem kleinen Label Tacet neu - ansprechend
gestaltet mit Cover-Zeichnungen von Horst Jansen.
Die seit der Gründung im Jahre 1976 beständigen Mitglieder des Klaviertrios, neben Zitterbart der Geiger Ulrich Beetz und die Cellistin Birgit Erichson, mußten vor gut zwei Jahren mit ansehen, wie ihre vornehmlich bei Intercord produzierten Aufnahmen nach und nach vom Markt verschwanden. Intercord war schon vor einiger Zeit an EMI verkauft worden. Mit Umstrukturierung von EMI Classics Deutschland gerieten auch die Intercord-Produkte ins marktstrategische Niemandsland. Ausgerechnet die wunderbar gelungene Kopplung des großen Ravel-Trios mit dem Debussy-Jugendwerk (ursprünglich bei ex libris verlegt) und eine CD aus der nach wie vor exemplarisch frisch und frech tönenden Beethoven-Gesamtaufnahme waren vergriffen. Obwohl beide Produktionen mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet worden und dementsprechend gefragt waren, sah man sich nicht genötigt, sie weiter im Katalog zu führen. Aber inmitten der EMI-Wirren bot sich für das Abegg Trio plötzlich die Chance, sämtliche Rechte zurückzukaufen.
Auf der Suche nach einem neuen Träger lag es nahe, zuerst bei Andreas Spreer und seinem kleinen, aber feinen Label Tacet anzuklopfen. Vor allem deswegen, weil Spreer als ehemaliger Tonmeister von Intercord den weit überwiegenden Teil aller Abegg-Aufnahmen betreut hatte. So war mit einem Schlag eine für Aufnahmen eines guten Jahrzehnts eher ungewöhnliche Einheitlichkeit zu erreichen: das Klaviertrio in konstanter Besetzung, eine einheitliche Cover-Präsentation, derselbe Klavierstimmer, derselbe instruktiv informierende Booklet-Texter (Jan Reichow) und schließlich eben derselbe Tonmeister mit seiner an einer natürlichen Konzertsaalatmosphäre orientierten Aufnahmeästhetik und einem dafür immer wieder als optimal empfundenen Aufnahmeort, der Festeburgkirche Frankfurt.
Seit längerem wird der Klang des Ensembles geprägt durch einen Bösendorfer Imperial (Zitterbart: »Wir lieben ihn, weil er wunderbar mit den Streichinstrumenten verschmilzt«) und durch hochwertige alte italienische Streichinstrumente, die als Leihgaben der Schweizer Maggini-Stiftung in die Hände der Abeggs gelangten. Diese Einheitlichkeit kann man hören. Und gerade, weil die Voraussetzungen konstant geblieben sind, treten die verschiedenen Charaktere der eingespielten Werke plastisch hervor.
Das bereits erhältliche erste Tacet-Paket enthält neben der erwähnten Ravel/Debussy-CD (Tacet 75) und sämtlichen Beethoven-Trios (Tacet 76-79) auch die MozartAufnahmen (Tacet 80, 2 CD), die Mitte der 80er Jahre die Aufmerksamkeit auf die Göttinger Formation lenkten. Inspirierter und mit überwiegend rascheren Tempi quirliger, überflügelten die Abeggs hier selbst die maßstabsetzende Beaux-Arts-Konkurrenz. Überhaupt braucht man sich gerade im Hinblick auf Leichtgängigkeit, Wendigkeit und Virtuosität vor niemandem zu verstecken. Das beweist besonders die den Gattungsbeiträgen von Felix MendeIssohn und Fanny Hensel gewidmete CD (Tacet 81). Eine Tugend der flinken Finger und des wachen Geistes, die dennoch fast nie in blasses Abschnurren umschlägt. Allerdings scheuen die Abeggs jeden Anflug von echter oder falscher Sentimentalität. Ihr Schubert, das Trio B-Dur op. 99 (Tacet 82), wird elegant schwebend in Fluß gehalten, Dvoráks Volkstümlichkeit im »Dumky«-Trio dezent artifiziell überhöht (Tacet 88) und Haydn (Tacet 89) ganz als Klassiker und gewitzter Meister der Form seziert. Wer hier mehr Subjektivität und mehr Expression als Impression hören will, muß sich wohl eher dem Trio Fontenay zuwenden. Die getimte Transparenz prägt auch Smetanas so gar nicht mehr derbes g-Moll-Trio op. 15, das, gekoppelt mit Michal Hájkus ebenso gewagter wie faszinierender Rekonstruktion der Trio-Urfassung von Janáceks Streichquartetts von 1923 (angeregt durch L. N. Tolstois Kreutzersonate einen weiteren Höhepunkt, Tacet 83) im Katalog markiert. Hier fallen der fein modellierte, gleichsam jeder Farbe, die wie durch prismatische Brechung zu entstehen scheint, nachspürende Klang und die Präzision der Motorik optimal mit dem Werkcharakter zusammen.
Ein zweites Paket steht zur Veröffentlichung an. Die »alten« Intercord-CDs geben hier schon einen umfassenden Einblick, denn technisch wird an den gelungenen Digital-Masterbändern bei der Tacet-Übernahme nichts geändert. Sie enthalten einerseits drei Schumann-CDs und die Brahms-Trios, andererseits eine hochinteressante Produktion von Klaviertrios des 20. Jahrhunderts (Dietrich Erdmann, Wolfgang Rihms »Fremde Szene« 11, Wilhelm Killmayers »Brahms-Bildnis«, Dieter Ackers »Stigmen« oder Hans Werner Henzes frühe Kammersonate). Und die Abeggs wären sich selbst nicht treu geblieben, wenn nicht wieder Raritäten durch ihr ausnahmslos höchst sorgfältig und werkdienlich interpretiertes Repertoire geistern würden: bei Schumann Bearbeitungen und Claras g-Moll-Trio, bei Brahms die 1854er und 1889er Versionen von op. 8, außerdem die erhellenden Kopplungen Hermann Goetz mit Friedrich Kiel sowie Franz Berwald mit Louise Farrenc.
Auch die Tacet-Zukunft der Abeggs hat schon begonnen. Unter den bewährten Bedingungen ist gerade eine Aufnahme des Es-Dur-Trios op. 100 von Franz Schubert entstanden, die noch im Frühjahr erscheinen soll. Sie stellt als Besonderheit der gewohnt gekürzten Version des Werks eine ungekürzte gegenüber. Im Herbst wird eine weitere Dvorák-CD folgen. Und auch der Wunsch, zumindest Haydns Londoner Meistertrios irgendwann komplett präsentieren zu können, besteht. Die Abeggs melden sich zurück.