Brahms
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Rezensionen
„Klassik heute“
Januar 2008
Diese Einspielung der
Klaviertrios op. 114 (mit Klarinette) und A-Dur op.posth. ist in
vieler Hinsicht mehr als nur die hochwertige Reproduktion von
überlieferten Kostbarkeiten aus dem offiziellen und
halboffiziellen Nachlass eines bedeutenden Komponisten. Zuerst darf
man dem Abegg Trio mit Ulrich Beetz, Birgit Erichson und Gerrit
Zitterbart gratulieren, seit nun 30 Jahren in unveränderter
Besetzung zusammen gespielt, zusammen gehalten zu haben. 2006 feierte
das Kammermusikensemble dieses seltene Bestandsjubiläum – und
man muss schon an Allianzen wie das Quartetto italiano, das Beaux
Arts Trio oder das Trio di Trieste denken, um ähnlich „haltbare“
Zusammenkünfte von – wie man weiß – nicht unbedingt
pflegeleichten Charakteren namhaft zu machen. Glückwunsch von
dieser Stelle aus!
Ein zweiter Punkt, der
diese Edition interessant gestaltet – und über den
Durchschnitt der besetzungstechnisch standardisierten
Brahms-Publikationen hinaushebt – ist die Wahl der Instrumente.
Gesucht, geforscht wurde (ähnlich wie bei der Aufnahme des
Horntrios und der Sextettbearbeitung) nach geeigneten,
aufführungspraktisch verbürgten Instrumenten aus der
Entstehungszeit der Werke. Unterstützt von Gert Hecher, konnten
zwei Flügel aus der Wiener Werkstatt Johann Baptist Streicher
aus den Jahren 1851 und 1876 verwendet werden. Zwei Instrumente mit
Wiener Mechanik, mit Leder auf den Hammerköpfen. Brahms selber
besaß einen Streicher-Flügel, dürfte also bei der
kompositorischen Arbeit von den Klangeigenschaften beeinflusst
gewesen sein.
Die Streichinstrumente
stammen von Lupot (1821) und Castagnieri (1747), die Klarinette ist
die Kopie eines von Mühlfeld – dem „Hausklarinettisten“
Brahms’ – verwendeten Instruments. Wie Gerrit Zitterbart im
Begleittext abschließend ausführt, handelt es sich um eine
Ottensteiner nachgebaute Klarinette, die „eine andere
Klappenmechanik und andere Klangeigenschaften als spätere
Klarinettensysteme hat.“
Beste, hervorragende
Voraussetzungen also für Interpretationen mit hohem, farbigem
Duft- und Aromagehalt. Virtuos im Sinne von verantwortungsvoller
Belebtheit, wachsam im wechselseitigen Fordern und Gewähren, im
Dialogischen wie im vorübergehend Solistischen, so wie es die
internen Vitalgeschichten der beiden Werke im Kraftvollen wie im
Elegischen nahe legen (Werke, die am Anfang und am Ende von Brahms’
Kammermusikbemühens stehen!).
Peter Cossé
Fono Forum Januar 2008
Erfüllt
Während die meisten
Aufnahmen von Brahms' Klaviertrios sich mit zwei CI)s begnügen,
betreibt das Abegg Trio seine Edition mit aller philologischen
Genauigkeit und berücksichtigt auf der nun vorliegenden vierten
Folge sowohl die zweite Fassung des Klarinettetrios op. 114 als auch
die posthum erschienene Version des A-Dur-Trios. Die drei Abeggler,
verstärkt um den Klarinettisten Martin Spangenberg, gehen
gleichermaßen entschlossen wie poetisch zu Werke. So entsteht
der Eindruck eines in Details ausgewogenen, im Ganzen
erfüllt-romantischen Musizierens. Das Klangbild beim Klaviertrio
lässt die Instrumente, trotz guter Balance untereinander, ein
wenig zu weit weg erscheinen. So entsteht der Eindruck von großem
Konzertsaal. Ungleich präsenter klingt Opus 114.
Christoph Vratz
Fono Forum
September 2006
15 Jahre ist es her, seit
sich das Abegg-Trio auf Tonträger letztmalig mit Johannes Brahms
beschäftigt hat. Nun ist, quasi als später Nachtrag, eine
Aufnahme mit dem Horntrio op. 40 und dem G-Dur-Sextett op. 36 in der
Trio-Bearbeitung von Theodor Kirchner erschienen. Alle Musiker
spielen auf historischen Instrumenten, Stephan Katte auf einem
ventillosen Naturhorn, dem Nachbau eines Instruments von ca. 1800,
Beetz auf einer Lupot-Violine von 1821 und Erichson auf einem
Castagnieri-Cello von ca. 1847, beide mit Darmsaiten. Zitterbart hat
einen Johann-Baptist-Streicher-Flügel von 1864 zur Verfügung
eine authentische Wahl, denn Brahms selbst hatte 1868 von
Streicher einen Flügel für seine Wiener Wohnung geschenkt
bekommen. Die ersten drei Sätze des Horntrios klingen
vergleichsweise vorsichtig, zurückhaltend, vornehm. Vor allem
das Scherzo lässt etwas von jenem energisch-kompromisslosen
Zugriff vermissen, der die früheren Brahms-Aufnahmen
ausgezeichnet hat. Gleichzeitig dominiert das vitale, perfekte
Zusammenspiel. Das Finale gerät schließlich zum
fulminanten Höhepunkt. Auch das Sextett klingt zutiefst
romantisch: geheimnisvoll, lyrisch, stellenweise wild, nie rührend,
nie belehrend. Eine gelungene Gabe zum 30. Geburtstag.
Christoph Vratz
Klassik
heute März 2006
Künstlerische
Qualität 10,
Klangqualität 9,
Gesamteindruck 10
Finster
schaut das skizzierte Konterfei von Johannes Brahms auf dem CD-Cover
den Betrachter an, und die abermals nüchterne Aufmachung der
Tacet-Produktion suggeriert zunächst schwere Kost. In der
dritten Folge von Brahms’ Klaviertrios mit dem Abegg
Trio
stehen op. 40 (Waldhorn) und die Sextett-Bearbeitung op. 36 auf dem
Programm.
Dass
bei Brahms selbst die Kammermusik keine beschauliche
Abend-Unterhaltung ist, sondern die höchsten ästhetischen
Maßstäbe der Orchestermusik in sich aufnimmt, ist bekannt.
Der klanglich intime Rahmen umfasst zwar weder komplexe
Instrumentations-Kunst noch virtuose Effekte, dafür tiefgründige
Melodik und eine aussagekräftige Themenverarbeitung von
beispiellos geringem Aufwand. Seit der ersten Brahms-Biographie
begleiten die Trios die Frage nach ihrem eigentlichen
programmatischen Sinn, da man selbst Brahms nicht nur „tönend
bewegte Formen“ als Inhalt der Musik abnehmen wollte. Im gelungenen
Einführungstext spielt der Autor jedenfalls auf eine
unglückliche Liebe an. Wie dem auch sei, das Abegg
Trio
geht die Sache nicht unbedingt distanziert, aber nüchtern an. Es
gibt keine schmachtenden Glissandi oder Portamenti, sondern
wohlkalkulierte Ausbrüche und Akzente und eine Musikalität,
die sich – scheinbar – aus dem Antrieb speist, erst einmal alles
richtig zu spielen. Dass das der dennoch tief empfundenen, wunderbar
tiefgehenden Musik von Brahms nicht unbedingt schadet, liegt an dem
auch ohne Übertreibungen völlig offenliegenden Ausdruck der
Werke selbst. Dennoch wird jede Wendung ernst genommen, kein Leitton
wird verschluckt und die für Brahms so typischen rhythmischen
Verschiebungen nicht verwässert. Die intime Wirkung des Ganzen
beruht maßgeblich auf der „historischen“ Aufführungsweise.
Dem Ventilhorn wurde das „schmutzigere“ (Harnoncourt im
Begleittext) Waldhorn vorgezogen, die Streichinstrumente stammen aus
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und der Hammerflügel
sorgt schließlich für den typisch zarten, fast
resonanzlosen Klang in der Begleitung.
Letztlich
ist an dieser Produktion alles auf die unanfechtbare Meisterschaft
von Brahms ausgerichtet, künstlerisch und editorisch. Der Autor
des in Gehalt und Vielschichtigkeit hervorragenden Einführungstextes
– Jan Reichow – nutzt die ihm gegebenen neun Seiten und führt
hintergründig und ansprechend den von Liebesleid geprägten
jungen Komponisten und die davon beeinflussten Trios zusammen. Wer zu
Brahms’ wegweisender Kammermusik bislang (noch) keinen Zugang
gefunden hat, sollte spätestens jetzt die Sinfonien und das
Deutsche
Requiem
einmal kurz beiseite legen – mit dieser Aufnahme könnte die
Überraschung nicht größer sein.
Tobias Gebauer
Hannoversche
Allgemeine Zeitung März 2006
Trauer
und Licht
Mit
der dritten Folge seiner Brahms Einspielungen ist das Abegg Trio
bei zwei Besonderheiten angekommen. Es legt nun das als Horntrio
bekannte Opus 40 und die vom Brahms Freund Theodor Kirchner
arrangierte Trioversion des Streichsextetts G Dur op. 36 vor.
Beide Werke sind zeitlich dicht beieinander in Lichtental bei
Baden-Baden entstanden und spiegeln Biografisches. Der im dunklen
es-Moll tönende langsame Satz des Horntrios, dessen langsame
Tempobezeichnung von Brahms ausdrücklich mit dem seltenen Zusatz
"mesto" (traurig) versehen wird, reflektiert die Trauer des
Komponisten über den Tod der Mutter. Im Streichsextett hingegen
verarbeitet Brahms seine unerfüllte Liebe zu der Göttinger
Professorentochter Agathe von Siebold. Er tut dies leicht
verschlüsselt, indem er im Kopfsatz aus den Tönen
a-g-a(t)-h-e eine melodische Figur formt. Das Abegg Trio fängt
die romantische Atmosphäre vorzüglich ein. Es hat dafür
historische Instrumente gewählt und begibt sich auf eine
Wanderung in die Natur. Dem Komponisten nämlich schwebte bei
seinem Horntrio ausdrücklich ein Waldhom vor, und Stephan Katte
als Triogast bläst seine Partie auf einem ventillosen Naturhorn.
Er vermeidet so den wuchtigen und die anderen Instrumente
übertrumpfenden Klang des modernen Ventilhoms. Das Naturhom
verbindet sich mühelos mit der zarten Violinstimme. Und weil
Gerrit Zitterbart seinen Klavierpart auf einem Streicher-Flügel
der Brahms Zeit musiziert, kommt es im Horntrio zu einer ganz
außerordentlichen klanglichen Balance. Diese bleibt auch in der
Trioversion des Sextetts erhalten. Es markiert eine ebenso anmutige
wie hell leuchtende Gegenwelt.
Ludolf Baucke
Internetplatte11.de März 2006
Während
das Balance-Problem von Mercury durch eine Aufstellung der Musiker
umgangen wurde, die im Konzert niemals in Frage käme, löst
das Abegg-Trio (Tacet 147CD) das Problem mit Hilfe der historisch
informierten Musizierpraxis, oder anders: Wenn man's macht, wie
Brahms es sich schon vorgestellt hat, treten die Probleme erst gar
nicht auf. Der junge Hornist Stephan Katte spielt ein 2001 von
Andreas Jungwirth gebautes, einem Graslitzer Instrument von 1800
nachempfundenes Horn, Ulrich Beetz hat seine Geige von Nicolas Lupot
(Paris 1821) mit Darmsaiten ausgerüstet und Gerrit Zitterbart
sitzt an einem Hammerflügel von Johann Baptist Streicher und
Sohn aus dem Jahr 1864. Während ein modernes Ventilhorn, wie
John Barrows es spielte, nach Konzertsaal klingt, klingt Stephan
Kattes Horn – nach Wald! Leiser, zarter und würziger spielt
es, und darum kann es mit der Violine und dem Klavier wunderbar
gemeinsam klagen und sich freuen. Ob Brahms das gefallen hätte?
- Bestimmt!
Crescendo
April 2006
Johannes
Brahms: Auf historischen Instrumenten hat das Abegg-Trio das Trio für
Klavier, Violine und Waldhorn sowie das von Theodor Kirchner
bearbeitete Trio für Klavier, Violine und Violoncello
eingespielt. Klarer Klang und einfühlsame, stets treffende
Interpretation kennzeichnen das Spiel. In die vielgelobte Homogenität
des Abegg-Trios fügt sich Hornist Stephan Katte makellos ein.
Audio 4/1991
Die Klassik-CD des Monats
Genauso
wie die Doppelkopf-Zeichnung von Horst Janssen auf dem Booklet-Cover
bringen die Abeggs den jugendlich ungestümen und den altersweisen
Brahms unter einen Hut. Die Interpretationen des Trios leben nach 15
Jahren Business von einer wohl einmalig homogenen Mischung aus
blutvoller Spontaneität und klassisch-konzentriertem Ebenmaß. Kein
harmlosgemütlicher Brahms erklingt da - die Tempi des später vom Autor
gnadenlos um ein Drittel zusammengekürzten H-Dur-Trios op.8 ziehen
wesentlich geraffter durch als auf der bisher zugänglichen
Abegg-Einspielung und richten sich nach den originalen Metronom-Angaben
der Erstfassung. Die Abeggs schaffen so noch mehr Innenspannung als die
etwas klebrige und zum Verweilen neigende Aufnahme des Trio Fontenay
(Teldec). Urvital, schroff das eine,terzenselig, süffig das andere
Extrem: nichts für Puristen, die nur gemütlich zurücklehnen und
»herrlich« stöhnen wollen. Jeder Takt packt, auch die großen
kompositorischen Spannungsbögen stimmen. Dem Trio gelang eine
stilistisch faszinierend treffsichere Kammermusik-Leistung in
exzellenter Klangqualität.
Otto Paul Burkhardt
Audio Februar 1992
Mit
der drolligerweise zuerst vorgestellten Folge II der Brahms-Trios
erspielten die Abeggs schon eine Platte des Monats (AUDIO 4/1991). An
den Opera 8 (erste, ungestüme Version) und 87 machen Gerrit Zitterbart
(Klavier), Ulrich Beetz (Violine) und Birgit Erichson (Cello) keinerlei
Abstriche. Hart an den Metronom-Vorgaben, ohne unnötige Schleifer, mit
gehörigem Mut zum harschen Kontrast und wohlausgewogener Stimmenbalance
musizieren die drei Kammermusik auf höchstem Niveau. Die exzellente
Tontechnik hält mit.
HifiVision Juni 1991
Musik: sehr gut, Klang: sehr gut
Wenn
es ein Werk gibt, das wie eine Klammer das ganze Leben von Johannes
Brahms zusammenhält, dann sein erstes Klaviertrio: Mit 20 Jahren hat er
es als Opus 8 geschrieben und es mit 56, wenige Jahre vor seinem Tod,
überarbeitet. »So wüst wird es nicht mehr sein wie früher«, schrieb er
seinerzeit an Clara Schumann, »ob aber besser?« Schön und gut ist es
auf jeden Fall, Brahms romantisch und schwelgerisch, Brahms at his
best. Die drei vom Abegg Trio spielen es prononciert und stürmisch,
wüst auch, wo es sein muß, und verklärt, wo es sein darf. Meinen
Lieblingspart aber spielt Birgit Erichson auf dem Cello. Sie verleiht
der Musik die Wärme und Tiefe, die das Hörerlebnis dieser Platte
ausmacht.
Wolfgang Lechner
FonoForum 1/92
Brahms’ op.8 original!
Kreisler
jun. contra Brahms sen. - so könnte man die beiden CDs gegeneinander
ausspielen. Jedenfalls was das Opus 8 anbelangt. Zweimal nämlich hat
sich Brahms mit seinem ersten Klaviertrio beschäftigt: 1854, als er es
zu Papier brachte (nach den ersten Klavier- und Liedkompositionen op.1
bis 7 nun das erste Kammermusikwerk), und 1889, als er es nochmals
vornahm und grundlegend revidierte (dieser Revision, der letzten
Beschäftigung mit einem Kammermusikwerk, folgten anschließend noch die
späten Klavierstücke op.116 bis 119 sowie die »Vier letzten Gesänge«).
Auffallend, wie sich die verschiedenen Kreise - Klaviermusik,
Kammermusik- und Liedschaffen - je einzeln schließen oder wie, nach der
Formulierung von Brahms, sich »die, Schlange in den Schwanz beißt«.
Mit Kreisler jun. hat Brahms die erste Fassung des op.8 signiert, Bezug
nehmend auf jenen Kreisler, den Schumann in seiner »Kreisleriana«
verewigen sollte. Ein rauschhaft ausufernder, da und dort
überschwappender musikalischer Fluß, der alles mitzureißen scheint
respektive dem der Komponist zunächst keine Form zu geben vermochte.
Deshalb auch das Bedürfnis nach Revision, nach Zähmung des
jugendlich-ungestümen Erstlings. Beide Fassungen haben ihre
Berechtigung und haben, wichtiger noch, auch ihren ganz spezifischen
musikalischen Reiz. Zumal in den hervorragend ausgezirkelten
Interpretationen des Abegg Trios, welches sich nicht voreilig einem
tradierten Brahms-Bild (Brahms mit Bart, alt geworden schon in
Jugendjahren) verschreibt, sondern das »Kreislerische« Drängen und
Ungestüm voll in seine Interpretation einbezieht. Ein Sonderlob an Jan
Reichow: für die beiden hochinteressanten (und inhaltlich gut
formulierten) Textheft-Beiträge.
Werner Pfister
Fanfare (USA) 1999
With
some other chamber-music discs reviewed in Fanfare 22:6, the German
label Tacet drew some warm recommendation from my colleague James H.
North for its recorded sound. A similar enthusiasm is certainly called
for here: One of the first things that struck me about this pair of
releases is the exemplary warmth, clarity, colour, and balance achieved
... by producers Andreas Spreer and Peter Laenger.
Striking another
way is the curious fact that these recordings have apparently had to
wait roughly a decade to be issued. At least, having been taped in 1989
and 1990, they appear now labeled with a 1999 p date, and I can find no
trace of any earlier release. What makes this incomprehensible is the
outstanding quality of the performances. They could easily have earned
an emphatic recommendation at any intervening time, and, even now,
after the appearance of the Florestan Trio’s superb set on Hyperion …,
they are good enough to complicate the matter of choice substantially …
Bernard Jacobson
Die Bunte 20. Mai 1998
Auch Brahms war mal jung.
Joachim Kaiser über Brahms, Tristesse und ein trotzdem fröhliches Meisterwerk
Johannes Brahms: Klaviertrio H-Dur op.8
Falls
der ewig düstere und nachdenkliche, manchmal sogar extrem depressive
Johannes Brahms auch mal fröhlich war, so berichteten seine Wiener
Verehrer liebevoll spöttisch, dann habe er »Das Grab ist meine Freude«
voller Inbrunst und mit lauter Stimme gesungen. Und der
hochmusikalische Kabarettist Heinz Erhardt antwortete auf die Frage,
was für eine Musik man spielen solle, mit trocken-doofem Tonfall:
»einen flotten Brahms«. Was wirklich ein guter Witz war, denn kein
Adjektiv paßt schlechter zur vergrübelt fatalistischen Brahmsschen
Kunst als dieses saudumme »flott« ... Ja, der blonde Johannes
(1833-1897) aus Hamburgs Gängeviertel in der Altstadt gilt als großer,
aber herber Komponist: mehr Moll - als Dur. Doch auch Johannes Brahms
ist einmal jung gewesen und sogar sehr glücklich. Bereit, die Welt mit
strömenden Melodien zu beschenken. In keinem seiner Werke tut er das
derart rückhaltlos, mit so ausgebreiteten Armen - wie im H-Dur-Trio
op.8, das er im Januar 1855 komponierte, erst knappe einundzwanzig
Jahre jung.
Innig beginnt er das Hauptthema des Kopfsatzes. Zuerst
das Klavier. Dann tritt das Cello schwärmerisch hinzu. Und schließlich
bereichert die Geige emphatisch. Eine faszinierende harmonische Rückung
von H-Dur nach cis-Moll hält den unendlichen Bogen keineswegs auf, der
erst nach gut 50 erhaben-melodischen Takten im Fortissimo kulminiert.
Was für ein Anfang! Und es dauert noch einige Zeit, bis ein lakonisches
Moll-Seitenthema sich einstellt ... Witziger, beschwingter als das
Scherzo - Schrammel-Musik aus dem Wiener Prater, wie Gott (oder eben
nur Johannes Brahms) sie träumt, kann so leicht kein Tanzsatz sein. Der
innige Hymnus des Adagios drückt die strenge Reinheit einer jungen
Seele aus. Dann aber wird die Musik seltsam schwermütig. Kein
Jugendschmerz, fühlt man, sondern im Gegenteil herbe, leise
Alters-Melancholie. Ein wenig traurig, sehr zärtlich und voller Gefühl.
(Und man fühlt richtig: 35 Jahre später hat Johannes Brahms nämlich die
Buntheiten der Ur-Fassung korrigiert - und solche Bitterkeiten
meisterhaft hineingefügt.)
Erst das Finale konfrontiert dann wieder
mit dem grimmigen, finster-entschlossenen Brahms-Sound, wie man ihn
gewohnt ist. Es beginnt gehetzt und bedrückt und findet dann
schließlich zu glänzender Entschlossenheit - im gleichfalls später
eingefügten zweiten Thema. So verbindet das Klaviertrio in H-Dur op.8
unabgenützte und genialische Jugendinspiration mit der souveränen
Formkraft des alten Meisters.
Und man bekommt große Lust auf die
weiteren durchwegs klangfrohen, zuweilen in Klang schwelgenden
Klavierwerke, geschrieben in Brahms’ verschiedenen Lebensabschnitten.
Die fesselndsten Interpretationen
Arthur Rubinstein hat zwei Aufnahmen des Brahmsschen Opus 8 vorgelegt:
Die frühere spielte er mit Jascha Heifetz und Feuermann ein - die
spätere, schönere mit dem Geiger Henryk Szeryng und dem Cellisten
Pierre Fournier. Klang die erste Aufnahme doch ein wenig oberflächlich
virtuos, mehr »amerikanisch« als germanisch-brahmsisch, so bot der über
80jährige Rubinstein beim zweiten Mal machtvoll souveränes Brahms-Spiel.
Edwin Fischer nahm sich in Proben vor, den Kopfsatz nicht zu lyrisch
aufzufassen, sondern als schwungvolles Allegro. Doch im Konzert oder
bei Aufnahmen spielte er das lyrische Wunder durchaus lyrisch. Pianist
Fischer, der Geiger Schneiderhan und der Cellist Mainardi waren nicht
brillant. Aber wenn es darauf ankam, etwa während der später
eingefügten Traurigkeiten des Adagios - dann schienen sie ganz allein
auf der Welt zu sein.
1976 fanden sich der prägnant und
eindringlich spielende Pianist Gerrit Zitterbart, die temperamentvoll
musizierende Cellistin Birgit Erichson und der trefflich solide Geiger
Ulrich Beetz zum Abegg Trio zusammen. Diese Künstler machen nicht
Ad-hoc-Kammermusik, sondern meistern seit Jahrzehnten die gesamte
Klaviertrio-Literatur. In ihrer Einspielung des Opus 8 spürt man
Passion, Genauigkeit, Erfahrung und Liebe.
Wenn Sie das Brahms-Trio op.8 in H-Dur Lieben …
Wer dafür schwärmt, bewundert auch jene späte, verknappte Gestalt die
Brahms 1889 herstellte - und in der er Kritik übt an der Überlänge
seines Frühwerks. Es lohnt sehr, sich auch für die erste Fassung (1855)
zu interessieren, wie sie das Abegg Trio bietet: Die zitiert emphatisch
Beethoven und Schubert, baut ein Fugato ein, hat herrliche
Überleitungen und ist nicht weniger liebenswert als die spätere,
vollkommenere, jedoch keineswegs bessere Fassung!
Frankfurter Allgemeine Zeitung Dienstag, 24. März 1992
Alte Jugend, jugendliches Alter
In
seiner Zeichnung für das Textheft läßt Horst Janssen die Gesichtszüge
des jungen und des alten Brahms vexierbildartig ineinandergleiten und
grenzt sie doch scharf voneinander ab. Zumindest für die beiden
Fassungen des Klaviertrios H-Dur trifft dieses Bild die Wirklichkeit:
Der romantische Freisinn, mit dem »Johannes Kreisler junior« 1854 die
Erstfassung seines Opus 8 schwungvoll durchwirkt, ist schon von der
satztechnischen Strenge späterer Jahre eingefangen, und in der
Umarbeitung von 1889 versetzt sich der vollbärtige Liebhaber
dauerhafter Traditionswerte erstaunlich zwanglos zurück in die
ausgelassenen Tonfälle seiner Jugend, in deren Geist ihm zum Finale
sogar noch ein beschwingtes neues Thema einfällt.
Trotz dieser
Übereinstimmung über fünfunddreißig Jahre hinweg hat Brahms recht mit
seiner Behauptung, das Werk im Alter »noch einmal geschrieben« zu
haben: Die Straffung, von der er lediglich das Scherzo fast ausnahm,
kappte das Werk nicht nur um ein Viertel der ursprünglichen Länge,
sondern griff tief in die Struktur ein. Besonders für das heftig
»gekämmte« Finale mag man dies bedauern: die Erstfassung hätte auf den
Konzertpodien mehr Beachtung verdient. Diesen Wunsch erfüllt das Abegg
Trio mit seiner Einspielung sämtlicher Brahms-Klaviertrios: Die
Wiedergaben beider Fassungen von op.8 klingen so enthusiastisch
klanggestisch, glutvoll und risikoreich, als seien Konzert-Aufführungen
mitgeschnitten worden. Für die frische Emphase dürften die relativ
raschen Tempi nach originalen Metronomangaben des Komponisten
mitverantwortlich sein. Neben dem bedeutenden Ausdrucksspielraum
besticht ein wacher Formsinn, der die Konzentrationsarbeit des alten
Brahms gegenüber dem assoziativeren Geschehenlassen im Jugendwerk
nachvollziehbar werden läßt. Die gleiche durchwärmte, plastisch
durchmodellierende Souveränität läßt das 1976 gegründete Ensemble -
Ulrich Beetz (Violine), Birgit Erichson (Violoncello), Gerrit
Zitterbart (Klavier) - den Trios C-Dur op.87 und c-Moll op.101
angedeihen.
Ellen Kohlhaas