Rachmaninoff, Tschaikowsky
Sergej Rachmaninoff - Trio élégiaque g-Moll Peter Iljitsch Tschaikowsky - Trio a-Moll op.50 |
zurück zur Discographieübersicht
Rezensionen
Bayerischer Rundfunk Bayern 4 Klassik: CD-Tipp vom 12.2.2003
»Das Aufblühen am Anfang, das Verlöschen am Ende« – so könnte
Tschaikowskys a-Moll-Trio charakterisiert, musik-analytisch,
lebensschildernd beschrieben werden. Als Autobiographie sozusagen über
eine schmerzvoll-verzerrte, melancholisch sich verzehrende Vita voller
depressiver Schübe. Generationen haben diese Musik so gespielt. Da es
auch anders geht – im Gefolge nachdenkender Kommunikation mit Musik, im
Gefolge auch der Gehör-Gänge gereinigt habenden authentischen
Aufführungspraxis – kann Tschaikowsky unsentimental klingen, stringent,
klar, melodienselig und dennoch formvollendet im wahrsten Sinne des
Wortes. Und genau das war es ja, worauf es dem Komponisten ankam: sein
Kampf um die Form stand immer in Opposition zum Melodiösen, über das er
im Übermaß verfügt. Das Abegg Trio holt Tschaikowskys Kammermusik in
die Territorien der Klarheit. Temporelationen spielen da eine Rolle,
Phrasierungsbögen, eine geklärte Gefühlslage.
Die Abegg-Leute spielen aus dem Autograph, verzichten auf vermeintlich
Verbesserndes der einen oder anderen Druckausgabe. Sie haben sich der
Mühe ausgesetzt, Tschaikowskys Bogensetzung, seine Angaben zu
Artikulation und Gliederung zu berücksichtigen. Und: diese Offenheit im
Umgang mit jeglicher Musik, die ihnen wichtig wird, zeichnet das Abegg
Trio aus, vor anderen, neben anderen. Und das jetzt schon länger als
ein Vierteljahrhundert, ohne die geringsten Routine- und
Verschleiss-Erscheinungen. Das Label TACET legt hier erneut den Beweis
vor, daß überall da, wo das Abegg Trio zu den Instrumenten greift,
fulminanter Ausdrucksreichtum und technische Perfektion zum Einsatz
kommen, dass verstaubte Partituren in neuem Glanz erstrahlen.
Wolf Loeckle
Norddeutscher Rundfunk: »Hörprobe« 28.2.2003
Das
1976 gegründete Abegg Trio gehört seit vielen Jahren zu den führenden
Kammermusikformationen in Europa. Und zwar nicht nur aufgrund seiner
interpretatorischen Qualitäten, sondern auch wegen eines
wissenschaftlich fundierten Umgangs mit dem Notenmaterial und der
klugen Programmgestaltung.
Diese Tugenden kommen auch auf der
neuesten CD des Ensembles mit Werken von russischen Komponisten zum
Vorschein. So haben die Musiker dem Hauptwerk der Aufnahme,
Tschaikowskys Klaviertrio op.50, eine passende Ouvertüre vorangestellt:
Das 1892 entstandene »Trio élégiaque« eines damals 19jährigen Studenten
und Tschaikowsky-Verehrers namens Sergej Rachmaninoff. Schon in der
Gestaltung des elegischen Themas, das sich zart aus dem Wispern der
beiden Streichinstrumente herausschält, zeigt sich dessen Bewunderung
für sein großes Vorbild.
Im Mittelpunkt der CD steht jedoch Tschaikowskys eigenes Klaviertrio
op.50 in a-Moll. Das Stück entstand 1881 im Gedenken an den
verstorbenen Freund und Förderer Nikolaj Rubinstein und gilt gemeinhin
als sein avanciertestes Kammermusikwerk. Es gliedert sich in zwei
Teile: Einen ausgedehnten, von melancholischen Stimmungen geprägten
Sonatensatz und eine Folge von 12 Variationen, in deren Verlauf unter
anderem ein Walzer, eine Mazurka und eine kunstvoll gebaute Fuge
auftreten.
Aus klanglicher Sicht ist das Trio sehr üppig gestaltet: Immer wieder
überschreitet Tschaikowsky den Rahmen des Kammermusikalischen und
verleiht dem Stück einen Zug ins Orchestrale. Nur durch eine sehr
sorgfältige Darstellung gelingt es den Mitgliedern des Abegg-Trios, das
Ganze transparent zu hallen. Bei aller philologischen Detailgenauigkeit
vermögen sie jedoch glücklicherweise den großen Bogen zu wahren und die
Ermüdungsgefahr abzuwenden. Wie schrieb der Kritiker Eduard Hanslick
vor 100 Jahren so schön über das Werk? »Es gehört zur Klasse der
Selbstmörder unter den Kompositionen, zu jenen, welche durch
unbarmherzige Länge sich selbst umbringen.« Das Abegg-Trio hat es nun
zu neuem Leben erweckt.
Marcus Stäbler
Rondo-Magazin März 2003
Man
weiß eigentlich gar nicht, wo man anfangen soll zu schwärmen: Von der
hinreißend elegischen Interpretation eines großartigen Abegg Trios über
die ausgefeilte, sehr transparente Aufnahme von TACET bis hin zum
überaus informativen Booklet überzeugt diese Neuerscheinung auf ganzer
Länge.
Dem frühen »elegischen« Trio Rachmaninows aus dem Jahr 1892,
das noch aus seiner Studienzeit stammt, ist das späte Klaviertrio
Tschaikowskys, das zu Beginn der 1880er Jahre entstand,
gegenübergestellt. Für die Aufnahme des Tschaikowsky-Trios hat das
Ensemble die Originalquellen herangezogen, da es in den Drucken
unterschiedliche Angaben zu Artikulation und Phrasierung gibt, und die
Quellenlage in Sachen Kürzungen ebenfalls uneinheitlich ist. Das Abegg
Trio hält sich weitgehend an die ursprüngliche Fassung des
Partiturautographs mit Tschaikowskys Anweisungen, die sie den
Druckfassungen vorzieht. Beeindruckend ist auch, wie das Trio dem
ausdrücklichen Wunsch Tschaikowskys nachkommt, sich »exakt an meine
metronomischen Angaben« zu halten. Und es ist höchst erstaunlich, wie
dieses Stück plötzlich klingt. Süße und herbe Facetten sind klug
ausmusiziert, die Farbenpalette enorm und alles scheint in eine
Melancholie gegossen, die nie abstößt oder aufdringlich wird, sondern
in höchstem Maße gefangen nimmt. Der Variationensatz entwickelt sich
besonders schön, wie ein Traumgebilde.
Es bewährt sich, dass das Abegg-Trio nun seit bereits 27 Jahren (!) in
derselben Besetzung spielt. Ein ausgewogener, aber nie langweiliger
Klangkörper, dessen Mitglieder sich blind auf einander verlassen
können. Grandios! Mehr kann man zu solchen Aufnahmen eigentlich gar
nicht sagen.
Karin Dietrich
Klassik heute Mai 2003
Es
mutet immer ein bisschen gefährlich an, wenn sich Ensembles damit
rühmen, die Vortragsbezeichnungen des Komponisten inklusive
Tempoangaben auf Punkt und Komma genau zu erfüllen. Wenn im Booklet
dann auch noch davon gesprochen wird, dass es sich beim
Tschaikowsky-Trio um die erste Aufnahme der ursprünglichen Version
handelt, dann liegt die Gefahr nahe, dass philologischer Ehrgeiz
musikalische Logik allzu leicht verdrängt.
Nicht so hier. Das
seit seiner Gründung 1976 in gleicher Besetzung spielende Abegg Trio
integriert Tschaikowskys Vortragsanweisungen so souverän in sein
flüssiges und harmonisches Zusammenspiel, als wäre hier Freiheit und
nicht philologische Strenge oberstes Gebot. Dies spricht freilich auch
für die Qualität einer nach wie vor unterschätzten Komposition, in dem
sich romantisches Pathos und satztechnische Komplexität symbiotisch
miteinander verbinden.
Im Zentrum des Interpretationsansatzes steht die plastische
Präsentation der großen Form. Den sinfonischen Ausmaßen – das Werk
dauert fast 45 Minuten – wird genug Raum gegeben, sich zu entfalten.
Der Motor dieser wohl bald denkmalgeschützten Interpretation bildet das
Klavierspiel Gerrit Zitterbarts. Sein sensibler Anschlag bei
gleichzeitiger Markierung formgebender Substanz bildet die Basis für
die sehr sanglich spielenden Streicher Ulrich Beetz (Violine) und
Birgit Erichson (Violoncello).
Ergänzt wird Tschaikowskys Trio durch das 1892 entstandene Trio Sergej
Rachmaninoffs – seltsamerweise gleich zu Beginn dieser CD. Das in
seiner emotionalen Haltung sehr stark an Tschaikowskys Werk erinnernde
und auch diesem gewidmete Trio nimmt so gleich am Anfang der Aufnahme
einiges vorweg, was sich später wesentlich glücklicher entfaltet.
Gelungen ist auch die Klangqualität dieser CD. Das etwas gedämpfte
Klavier ist räumlich deutlich hinter den Streichern postiert, deren
unspektakulärer, aber feiner Ton ebenfall schön eingefangen werden
konnte.
Robert Spoula
Frankfurter
Allgemeine Zeitung Mai 2003
Denk an den Tod - Das
Abegg Trio lernt vom Original-Tschaikowsky
In Autograph und
Erstdrucken seines Klaviertrios a-Moll op. 50 bittet Peter
Tschaikowsky, „sehr genau die Tempoangaben des Komponisten zu
befolgen“, die er verbal und metronomisch festlegte. Wie
folgenreich dies für die Wiedergabe sein kann, verdeutlicht das
Abegg Trio in seiner Einspielung nach der Originalhandschrift. Die
Tempi des „Pezzo elegiaco“ klingen vielfältiger, mit
flexibleren Übergängen. Weil sich das Ensemble bei der
Fuge, der achten Variation des zweiten Satzes, an die autographe
Tempoangabe „Viertel gleich Halbe“ (der siebenten Variation)
hält, dauert die Fuge ein Drittel länger als üblich
und dehnt sich so zu einem Zentrum im „Tema con variazioni“.
Das ist nur ein Beispiel
für eine ungewohnte Lesart von Tschaikowskys unkonventionell
geformtem Epitaph für einen großen Künstler" -
den 1881 gestorbenen Nikolaj Rubinstein. Weitere Abweichungen ergeben
sich aus den originalen Stricharten. Die Abeggs artikulieren das Werk
konturierter, in den Klangfiguren vielgestaltiger als üblich,
ohne auf das satte Schwermutsmelos zu verzichten. Bisher hielten sich
die meisten Interpreten an die spieltechnisch glättenden,
brillanzfördernden Angaben in den Erstdrucken. Da Tschaikowsky
sie billigte, sind sie in die Rezeptionsgeschichte eingegangen und
als Basis für Auslegungen nicht rundweg zu verwerfen. Doch bei
der „Variazione finale e Coda“, die sich zu einem eigenen
dreiteiligen Satz auswächst, spricht viel für die
Urfassung. Die originalen Strich- und Tempoangaben lassen das Allegro
risoluto e con fuoco nicht nur entschieden und feurig
erscheinen, sondern von den ersten Takten an verzweifelt gehärtet,
zerrissen. Dadurch wirkt dieser erste Satzteil besonders gestrafft,
zusätzlich zur Kürzung, die Tschaikowsky in der
Druckfassung von 1892 selbst vorgeschlagen hatte. Dieser Kompromiß
zwischen Urfassung und „Nouvelle édition revue et corrigée
par l'auteur“ lohnt sich: Das in voller Länge etwas
geschwätzige, vordergründig brillante Allegro spitzt sich
so zu dem niederschmetternd verzweifelten Andante con moto und
dem resigniert verlöschenden Trauermarsch zu: ein bezwingender
Schluß.
Den Gedenkstein Gedanken
hat das Abegg Trio weitergesponnen: Tschaikowskys Trio ist das
einsätzige „Trio élégiaque“ des Studenten
Sergej Rachmaninow vorangestellt, der später seinen Dreisätzer
gleichen Titels op. 9 dem plötzlich gestorbenen Tschaikowsky
zueignete. Und die Abeggs widmen ihre Aufnahme dem Andenken an ihren
1996 gestorbenen Freund, den Zeichner und Schriftsteller Horst
Janssen, dessen Birkenwald aus dem Band „Tocka“ (Schwermut) das
Cover schmückt.
Ellen Kohlhaas
Stereoplay
Mai 2003
UIrich Beetz, Birgit
Erichson und Gerrit Zitterbart studierten Tschaikowskys Autograph von
1882 sowie die Neuausgabe von 1892, bevor sie an ihre Einspielung des
berühmten Trios gingen. Das hatte Konsequenzen, wie ein
Vergleich mit anderen Einspielungen des Werkes zeigt, darunter so
hoch angesehene wie Rubinstein/Heifetz/Piatigorsky (1950) und
Argerich/Kremer/Maisky (1999). Die Abeggs erfüllen Tschaikowskys
ausdrückliche Forderung nach strenger Einhaltung seiner
Metronomangaben, außerdem halten sie sich an die Phrasierungs-
und Artikulationsvorschriften des Komponisten. Die einzige Konzession an das Übliche: die überlange
Finale-Variation wird bis auf die Reprise gekürzt, was kein
Mangel ist. Ob Tschaikowskys Tempoangabe im Falle der Fuge (Var. 8)
glücklich ist, bleibe dahingestellt, wirkt das Stück doch
in dieser Gestalt hölzern-exterritorial. Die Wiedergaben
zeichnen sich durch viel Schwung und Farbigkeit aus. Dass das Klavier
vielfach stark dominiert, ist im Sinne der Komposition: ein Gedenken
an den großen Pianisten Nikolai Rubinstein. Ansonsten mangelt
es den Abeggs nicht an Differenzierungen.
Alfred Beaujean
FonoForum Juni
2003
Interpretation sehr gut, Klang sehr gut
Tschaikowskys rund
45-minütiges Klaviertrio ist in seiner außergewöhnlichen
zweisätzigen Anlage weit mehr als ein Requiem für Nikolai
Rubinstein. In dem gewaltigen Variationssatz, der mit dem
melancholisch verschatteten Beginn des ersten Satzes schließt,
entwickelt Tschaikowsky aus dem volksliedhaften Thema ein dichtes
Panorama spätromantischen Empfindungsreichtums und dokumentiert
damit gleichermaßen seine eigene Meisterschaft wie die tiefe
Erlebnisfähigkeit seiner Zeit. Die strenge, konzentrierte, mehr
den poetischen Ernst als die spielfreudige Oberfläche betonende
Interpretation des Abegg Trio lässt Tschaikowskys Werk als
expressive Epochenmusik begreifbar werden.